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Syrien: Medizinischer Notstand 36o2x

Syrien: Medizinischer Notstand | Bild: SWR

14 Jahre Krieg haben das Gesundheitswesen in Syrien massiv getroffen. Mehr als die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen sind im ganzen Land zerstört. Auch die Zustände in den Krankenhän sind katastrophal. Viele Menschen, können sich eine Behandlung nicht leisten. Daher hat die Syrische Gemeinde Deutschland einen Arbeitseinsatz organisiert. 100 Ärzte haben in die alte Heimat kostenlos behandelt und operiert. Tawfiq Ghonaim, der deutsch-syrische Gefäßchirurg aus Essen ist schockiert von dem, was er sieht. Er wusste, dass es an vielem fehlt, aber es ist noch schlimmer. 5t59

Das Gesundheitssystem ist am Ende 4n4140

An diesem Tag betritt Tawfiq Ghonaim seit 13 Jahren zum ersten Mal wieder die Al Mujtahed-Klinik in Damaskus. Hier in einem der größten Krankenhä der Stadt wurde er ausgebildet. Von hier aus war er vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Arbeitet seitdem als Gefäßchirurg in Essen. "Ich kann ihnen das nicht beschreiben, das ist so ein bittersüßes Gefühl. An diesem Ort habe ich meine ersten Schritte in der Chirurgie als junger Assistenzarzt gemacht." Jetzt ist er gemeinsam mit rund 100 deutsch-syrischen Kollegen für eine Woche zurückgekommen, um kostenlos zu helfen. Denn das Gesundheitssystem ist nach Jahrzehnten des Krieges, der Misswirtschaft und internationaler Sanktionen am Ende. Das zeigt sich schon bei seiner Visite: Viele Menschen hier warten seit Jahren auf eine OP. Vielen fehlt für die Behandlung das Geld, den Krankenhän die Kapazitäten. Überall defekte Lampen, die meisten medizinischen Geräte sind über 20 Jahre alt. "Ich bin wirklich, also heute ist mein erster Tag und ich bin schon jetzt schockiert."

Tawfiq Ghonaim
Tawfiq Ghonaim ist entsetzt über die Zustände im Krankenhaus  | Bild: SWR

Ghonaim wird viel Geduld brauchen. Im Arztzimmer hakt es schon bei der Diagnose. "Wir versuchen jetzt seit circa einer halben Stunde ein CT-Bild von einem Patienten aufzurufen. Können sie einmal sehen, wie das hier am Computer ist, dauert länger als eine halbe Stunde, wir müssen warten bis die Bilder aufgerufen sind und dann können wir über einen Plan reden. Aber so jetzt einfach ist das nicht." Dieser Mann ist fünf Stunden aus dem Norden des Landes hergefahren. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden im Krieg mehr als die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in Syrien zerstört. Er hat umgerechnet schon 3.000 Euro für seine Behandlung gezahlt. "Ich habe Krebs im Knochenmark", erzählt Hassan Abdulhadi. "Bin für eine CT-Untersuchung hierhergekommen, damit ich Gewissheit über meinen Zustand bekomme."

Krieg, Sanktionen, Mangel und  Korruption 6n5oi

Viele andere können sich eine Behandlung nicht leisten. Rund 90 Prozent der Menschen leben in Armut. Sogar hier in einem staatlichen Krankenhaus müssen die Patienten medizinische Materialien selbst bezahlen. Eine Krankenversicherung gibt es nicht. Und auch unter der neuen Regierung kann der Staat keine Kosten übernehmen. Es sind vor allem die wirtschaftlichen Sanktionen, die die Preise in die Höhe treiben. Einst gegen das Assad-Regime verhängt, gelten sie noch immer. In diesem Sanitätsladen gibt es deshalb vor allem Produkte aus China. Diese Kinderrollstühle – hergestellt in den Niederlanden –– mussten nach Syrien geschmuggelt werden. "Was verboten war zu importieren, kam über Schmuggelwege herein", erklärt Ahmed Daher. "Zum Beispiel aus dem Libanon durch bestimmte Personen – je nach deren Möglichkeiten und Kontakten."

Wartende Patienten im Krankenhaus
Wartende Patienten im Krankenhaus  | Bild: SWR

In der Klinik in Damaskus spricht Direktor Mohammed Al Halbouni von einer mehrfachen Bestrafung des syrischen Gesundheitswesens in den letzten Jahren. Krieg, Sanktionen, Mangel. All das habe Korruption gefördert, die bis heute existiere. "Wenn man ein Gehalt bekommt, das nicht das Nötigste abdeckt – etwa 20 oder 30 Dollar pro Monat. Das treibt die Leute zur Korruption, denn sie müssen ja auch leben. Das Gleiche gilt für Krankenhä. Man muss einen Arzt oder eine Krankenschwester kennen oder Beziehungen haben. Es geht um Mittelsmänner. Manchmal nimmt ein Arzt so zusätzlich Geld ein."

Katastrophale Zustände im OP i391m

Tawfiq Ghonaim ist mittlerweile im OP. Die Hygienevorschriften, die er aus Deutschland kennt, kann er hier nicht einhalten. Die Zustände im OP sind katastrophal. Es fehlt an Desinfektionsmitteln. "Bitte die Sanktionen aufheben, es geht hier um Patienten, es geht um ältere Menschen, es geht um Kinder, die darunter leiden, es geht nicht um politische Verhandlungsmasse, sondern es geht wirklich um Menschen.

Ärzte bei Operation
Operation unter erschwerten Bedingungen | Bild: SWR

Das medizinische Versorgungsrecht ist ein grundlegendes Recht, das darf so nicht sein." Dann wird es hektisch. Auch der richtige Katheter fehlt. Sie müssen verschieden ausprobieren. Eine enorme Belastung für den Patienten. Am Ende klappt es. Doch statt einer Stunde dauert die OP vier. "Also ich weiß nicht. Ich kann das nicht beschreiben. Das ist unmenschlich."

Am Abend, wenige Minuten von der Klinik entfernt, auf dem Weg in seine alte Wohnung. Noch als Student hatte er sie gekauft. Seit seiner Flucht nicht mehr betreten. "Die Wohnung sehe ich jetzt zum ersten Mal nach 13 Jahren." Zwischenzeitlich hatte er die Wohnung vermietet. Sie nie ganz aufgegeben. In diesem Zimmer hörte er die ersten Bomben fallen. Dass er dauerhaft in sein Heimatland zurückkehrt – für ihn ausgeschlossen. "Ich kann ohne Strom leben, aber ich kann nicht leben: mein Kind wird krank, und ich weiß, wenn ich mit dem jetzt ins Krankenhaus fahre, weiß ich ganz genau: Mein Kind wird da nicht versorgt. Weil die haben kein Material. Ok. Ärzte kann man besorgen, aber wenn ich kein Material habe, keine Medikamente oder so…ja." Und trotzdem gibt es kleine Momente, die ihm aus seiner Heimat Damaskus vertraut geblieben sind: Besuch beim Lieblingsimbiss. Der ist genau wie früher. Tawfiq Ghonaim hofft, dass sich die Lage in Syrien bessert. Dazu will er beitragen und wiederkommen.

Autorin: Vera Rudolph, ARD-Studio Kairo

Stand: 12.05.2025 17:37 Uhr

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