So., 25.05.25 | 18:30 Uhr
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Gaza: Ärzte im täglichen Kampf ums Überleben 2tw7
Amputationen ohne Betäubung, OPs ohne Narkose, Säuglinge, die kaum geboren und schon vom Hungertod bedroht sind: Jeden Tag kämpfen palästinensische Ärzte in Gaza für das Überleben ihrer Patienten. Dabei fehlt es ihnen an allem. Denn durch die israelische Blockade ist auch keine medizinische Versorgung nach Gaza gekommen. Nur ein Lastwagen des Roten Kreuzes wurde bisher reingelassen. Hinzu kommt die ständige Sorge vor israelischen Angriffen auf Krankenhä. Wie können Ärzte unter diesen Umständen überhaupt noch arbeiten? Unser Kamerateam vor Ort begleitet einen Arzt in einem der letzten Krankenhä, die im nördlichen Gaza noch zum Teil in Betrieb sind. 246b2
Wenige Ärzte, kaum Medikamente 6v5q3m

Vor Ahmed Abdel Wahid liegt ein langer Arbeitstag. 24 Stunden Schicht hat der Arzt im Shifa-Krankenhaus in Gaza Stadt vor sich. Dass sie hier überhaupt noch arbeiten können – schwer vorstellbar. Es war das größte Krankenhaus im Gazastreifen, mit 1.400 Betten. "Unser Raum war hier, da war eine kleine Treppe, das war unsere Abteilung, das unser Eingang zum Krankenhaus. Unser Teil vom Krankenhaus war neu, grade renoviert wenige Monate vor dem Krieg." Mehrmals seit Kriegsbeginn hat das israelische Militär das Krankenhaus angegriffen, das Gelände belagert.
Der Vorwurf: Es befinde sich eine Hamas-Kommandozentrale darunter. Überprüfen können wir das nicht. Israel gibt internationalen Journalisten keinen unabhängigen Zugang nach Gaza. Für das Krankenhauspersonal ist es zu gefährlich, hier über die Hamas zu sprechen. "Als ich das Krankenhaus so gesehen habe, wurde ich sehr emotional. Die meisten von uns haben ihre Hä verloren, aber in diesem Krankenhaus habe ich in den letzten fünf, sechs Jahren mehr Zeit verbracht als in meinem eigenen Haus. Deshalb wurde ich so emotional. Sogar bevor ich Arzt wurde, war das Shifa-Krankenhaus eine große Sache für mich und wir haben in unserer Jugend gesehen, wie es immer größer wurde."

Heute ist nur noch das Gebäude auf der linken Seite in Betrieb. Es ist die Hauptanlaufstelle für Menschen im Norden und in Gaza Stadt. Ahmed Abdel Wahid sagt, wenn es heute israelische Luftangriffe gibt, können hier innerhalb kürzester Zeit 500 bis 600 teils Schwerverletzte eingeliefert werden. Sie sind nur fünf Ärzte in der Notaufnahme und es gibt kaum mehr Medikamente. "Wir haben nicht genügend Ärzte, weil manche Ärzte getötet wurden, manche sind festgenommen worden und manche sind in andere Gegenden in Gaza geflohen."
Israel blockiert Hilfslieferungen 191b5j
Die Notaufnahme ist überfüllt. Viele müssen so wie dieser kleiner Junge warten. Ahmed Abdel Wahid muss erst einen anderen Patienten untersuchen. "Hallo, wie geht es Ihnen? Was ist iert?" "Wir haben einfach vor unserem Haus gesessen, als auf einmal eine Bombe einschlug." "Wo war das" "Auf der Straße." "Wann?" "Vor eineinhalb Stunden etwa." "Wie sind Sie ins Krankenhaus gekommen?" "Auf einem Motorrad?" "Haben Sie versucht, einen Krankenwagen zu rufen?" "Ja, aber das war sinnlos, sie haben uns gesagt, wir können jetzt nicht sofort kommen." Der Mann hat Wunden von Schrapnellen. Auch kleinste Verletzungen können sehr gefährlich sein, besonders in der Brust oder am Bauch, sagt Ahmed Abdel Wahid. "Deshalb untersuchen wir das immer als erstes. Was mich beruhigt ist, dass der alte Mann keine Schmerzen hat, der Ultraschall vom Bauch und der Brust ist gut, keine inneren Blutungen und das Herz scheint auch ok zu sein."

Damit sich Wunden nicht entzünden, brauchen die Ärzte Antibiotika. "Hallo, Mohammed, wir brauchen Rocephin für einen Patienten". "Wir haben nichts." "Haben wir eine Alternative? Andere Antibiotika?" "Ich habe nichts da." In den Regalen des Medikamentenlagers – nur die Basics, sagt Ahmed Abdel Wahid. Schmerzmittel, Spritzen, Infusionen. Seit Anfang März hatte Israel alle Hilfslieferungen blockiert – auch Medizin. "Wir haben Entzündungen gesehen, die wir noch nie in unserem Leben gesehen haben. Aus manchen Wunden kommen Würmer. Denn wir haben keine Antibiotika, nichts, um die Wunden zu desinfizieren und nicht mal genug, um sie zu verbinden."
Es gibt nur noch Linsensuppe zum Essen 461j5t

Im Nachbarraum behandeln sie die Brandwunden dieses Jungen. Der 10-jährige Amar lebt mit seiner Familie in einem Zelt an der Küste. "Ich habe meinen Sohn zur Suppenküche geschickt", erzählt Alia Abu Jarad, "aber wegen der Menschenmenge und des Verkehrs wurde der Topf über ihm verschüttet." Sie seien auf die Suppenküche angewiesen. Seit drei Monaten hätten ihre Kinder kein Brot mehr gesessen, frisches Gemüse und Obst schon lange nicht mehr, sagt sie. "Außer Linsensuppe gibt es aber nichts, auch wenn die Suppenküche offen hat, gibt es nur Linsen, Linsen, Linsen. Meine Kinder haben mich angefleht, ihnen etwas anderes als Linsen zu geben. Aber wir können nur essen, was es in der Suppenküche gibt. Ich habe ihnen gesagt, habt Geduld."
Hier im Shifa-Krankenhaus versuchen die wenigen Ärzte, die Menschen, mit dem was noch bleibt, irgendwie zu behandeln. Für Ahmed Abdel Wahid ein normaler Arbeitstag, zum Glück ohne große Luftangriffe in der Gegend. Was ihn am Laufen hält? Kaffee – sagt er schmunzelnd. Immerhin, den gibt es noch. Seine Arbeit bringe ihn oft in einen inneren Konflikt. "Einerseits sagen meine Eltern und meine Frau zu mir: war es nicht genug, als die Armee das Krankenhaus belagert hat, wir hatten Angst um dich. Du hast doch gesehen, wie gefährlich das ist. Da habe ich etwas gezweifelt, aber dann denke ich mir, das ist meine Pflicht, ich will nicht hilflos sein und Arzt sein ist das, was ich tun kann." Wenn er Zeit hat, versucht er seine Frau zu erreichen. Sie haben vor kurzem geheiratet, erwarten ihr erstes Kind. Auch wenn er sich um sie sorgt, sie nicht genügend Essen haben und die Zukunft so ungewiss ist – die Vorfreude auf das Kind gebe ihm trotz allem irgendwie Hoffnung.
Autorin: Sophie von der Tann, ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 26.05.2025 12:57 Uhr
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