So., 04.05.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
England: Militärisch aufrüsten – sozial abrüsten 6k6d1u
Den Feind haben sie hier seit jeher fest im Blick. Barrow, im äußersten Nordwesten Englands: Seit über hundert Jahren haben sie hier Schiffe und U-Boote auf ihren Docks gebaut. Erst mit dem Ende des kalten Krieges ging es bergab. Ab Mitte der 90er Jahre blieben die Aufträge aus, tausende Arbeitsplätze wurden abgebaut, die Jungen verließen die Stadt, Barrow wurde zu einer der ärmsten Ecken Nordenglands. "Wenn die Docks keine Aufträge haben, dann geht die ganze Stadt den Bach runter. Es fehlte nur noch das Efeu auf den Bürgersteigen", erzählt Jim. 5z6167
Das alles soll sich jetzt radikal ändern. Aus dem "Chicago des Nordens", wie es mal hieß, soll jetzt wieder eins der Zentren der britischen Verteidigungsindustrie werden. Wir treffen den Stadtrat Frank Cassidy, der mir stolz erzählt, dass London seiner Stadt jetzt umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro an Investitionen zugesagt hat, ein Neustart, an den er immer geglaubt hat: "Wie Sie hier sehen können, ist das lateinische Motto unser Stadt "Semper Sursum". Was heißt: Immer nach vorne, nie zurück. Das ist der Spirit unserer Stadt. Und das iert jetzt."
Direkt am Hafen wird ein ganz neues Stadtviertel gebaut, Hä für die mehr als 10.000 Arbeitskräfte, die hier in den nächsten Jahren zusätzlich gebraucht werden. Frank Cassidy liebt diesen Anblick: "Hier allein entstehen 808 neue Hä, für unsere Leute, und wir werden dafür sorgen, dass der Großteil davon absolut bezahlbar bleibt."
Hoffnung auf den Aufschwung 1xp3k
Das hat auch der britische Premier Starmer versprochen, als er hier jetzt neue Aufträge für die Docks ankündigte. Wirtschaftswachstum durch Investition in die Verteidigung. Ihre Uboote sind entscheidend für die britische Atom-Abschreckung, da die Nuklear-Raketen des Königreichs von Ubooten aus eingesetzt werden, die sie hier seit Generationen bauen. "Ich möchten Ihnen von ganzem Herzen danken. Es ist so wichtig, was sie hier tun, ganz besonders in diesen Zeiten", sagt der Premierminister.
Ein emotionaler Moment nicht nur für die Belegschaft, sondern für die ganze Stadt erzählt mir Laura ein paar Tage später, eine der Mitarbeiterinnen der Rüstungsfirma, die das Dock betreibt: "Am schönsten ist es immer, wenn sie fertiggebaut sind, dann kommen sie hier raus, und werden dann dort ins offene Meer entlassen. Die ganze Stadt verabschiedet sie dann hier, das ist immer ein stolzer Tag."
Barrow ist nämlich der einzige Ort in Großbritannien, der eine Lizenz für den Bau von Atom-Ubooten hat. Zur feierlichen Verabschiedung und Taufe kam dann auch schon mal die Queen. Denn wenn diese Kolosse nach jahrelangem Bau ins Meer entlassen wurden, dann stand zum Abschied jedes Mal ganz Barrow still. Derek und Ian haben jahrzehntelang hier gearbeitet und waren schon als kleine Jungs dabei: "Wenn du sie dann plötzlich gehen lassen musst, nach so langer Zeit... ja, da sind mir schon oft die Tränen gekommen, als ich jung war.. das war schon immer sehr emotional", erzählt Derek und Ian sagt: "Ich kann mich nicht erinnern geheult zu haben, ich habe es gefeiert, aber klar das war emotional."
Als das Dock ab den 90ern kaum mehr Aufträge bekam, und auch sie selbst arbeitslos wurden, blieben sie dennoch hier, aufgeben war für sie nie eine Option. "Du musst dir selber helfen, du musst zäh sein und an dich glauben. Und wir haben uns durchgekämpft und einfach durchgehalten in der Hoffnung auf bessere Zeiten", erzählt Ian.
Die hohe Investitionen haben ihren Preis 4n3h2z
Aber in die Freude und Hoffnung über den Neustart mischen sich auch Sorgen. Denn kurz vor seinem Besuch hier oben kündigte Starmer auch an, dass das zusätzliche Geld für die Verteidigung Einschnitte bei der Hilfe für ärmere Briten bedeutet. Die Aufrüstung muss nämlich durch Kürzungen im Sozialbereich finanziert werden. Und das sind keine gute Aussichten für Barrow. Denn gerade hier sind durch die vergangenen harten Jahre überdurchschnittlich viele Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. Tony Ford, Priester in einer der ärmsten Ecken von Barrow lässt mich nach der Messe mit einigen seiner Schützlingen sprechen. Sie sind nicht glücklich, dass nun ausgerechnet bei ihnen gekürzt werden soll.
"Es sind immer die Armen, die zahlen müssen, nie die Reichen. Das ist doch nicht fair, andererseits müssen wir uns verteidigen jetzt." "Ja, irgendwoher muss es eben kommen, so schrecklich das ist, aber wenn es anders nicht geht." "Wenn wir als Nation in Europa zur Hilfe gerufen werden, sind wir in der Pflicht, es wäre unanständig, da zu kneifen." Ob sie hier Angst vor Putin und einem möglichen Angriff auf ihre Stadt haben? "Wir waren hier immer ein Ziel, und wenn es wieder zum Schlimmsten kommt, dann würde ich einfach gern gleich getroffen werden."
Barrow war nämlich schon einmal Angriffsziel, 1941 ließen die Nazis ein ganzes Bombenmeer auf die strategisch wichtige Stadt niederregnen. Ihr Mantra aber blieb "Keep Calm and Carry on". Und auch Ian und Derek, deren Eltern das miterlebt haben, sehen einer möglichen Bedrohung ihrer Stadt gelassen entgegen. "So wie die Welt im Moment läuft, haben wir das nicht in der Hand, wenn wir hier angegriffen werden, ist das weil wir wichtig sind. Wir nehmen das als Kompliment", sagt Ian und Derek ergänzt: "Und als Inselbewohner haben wir auch unsere ganz eigene zähe Entschlossenheit und das Selbstvertrauen, dass wir dadurch kommen." "Wir Briten sind immer auf der Seite des Underdogs, und die Ukraine ist hier ganz klar der Underdog gegen Russland. Und deshalb ist das keine Frage, dass wir denen helfen, egal was ist", erklärt Ian.
Sie mögen besonders zäh sein hier oben, die Menschen in Barrow: Die Haltung aber, auf der richtigen Seite der Geschichte stehen zu wollen, und sich dabei durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen, die ist eine, die für so gut wie alle auf der ganzen Insel gilt.
Autorin: Annette Dittert / ARD London
Stand: 04.05.2025 22:04 Uhr
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